Zugegeben, angesichts der momentan in weiten Teilen Deutschlands herrschenden Schönwetterlage, fällt es nicht leicht, an die nahende kalte Jahreszeit zu denken. Die Beamten in der EU-Kommission dagegen, haben den anstehenden Winter auch in den Sommermonaten nicht aus den Augen verloren. Sie sammelten Rekordmengen an Erdgas in ihren Speichern an und sind ihrem eigenen Zeitplan voraus.
EU-Gasspeicher zu nahezu 100 Prozent gefüllt
Die Nachricht von der fortgeschrittenen Befüllung der Depots wurde im August von Brüssel mit einigem Stolz verkündet. Mitte August waren die Speicher zu 90 Prozent gefüllt, was dem Ziel für November entsprach. Doch die Energieversorger haben es nicht dabei belassen, denn seit Anfang Oktober sind die Gasspeicher in der EU fast zu 100 Prozent gefüllt.
Und wie sieht die Lage in Deutschland aus? Um die deutsche Gasversorgung für den kommenden Winter zu sichern, muss bis zum 1. November ein Speicherfüllstand von 95 Prozent erreicht werden. Dieses Ziel wurde laut Bundesnetzagentur bereits Ende September erreicht.
Es gibt nur ein kleines Problem: Es könnte immer noch nicht genug sein, um die Gasversorgung für den Winter zu sichern.
Milder Winter, volle Speicher
Letztes Jahr erlebte Europa während des größten Teils der Heizsaison einen milderen Winter als üblich. Angesichts der Sorgen um die Gasvorräte war diese eine willkommene Bestätigung des Klimawandels. Letztlich blieb ein Großteil des im Sommer zu überhöhten Preisen eingekauften Gases aufgrund des Wetters ungenutzt in den Speichern.
Gasspeicher decken nicht den Bedarf
Doch trotz des milden Winters und der vollen Speicher haben die europäischen Regierungen den Großverbrauchern Sparmaßnahmen auferlegt. Das wird in diesem Jahr nicht anders sein. Die Speicher mögen zwar bis zum Rand gefüllt sein, aber es wird Energiesparinitiativen geben – darunter auch verpflichtende -, die kürzlich in Deutschland beschlossen wurden. Denn eine Sache, die oft vergessen wird, wenn über die europäischen Gasspeicher gesprochen wird, ist, dass sie nicht 100 Prozent des Verbrauchs abdecken.
Die Speicherkapazität für Erdgas in der Europäischen Union deckt nach Angaben der EU selbst nur etwa ein Drittel des Bedarfs. In der EU können bis zu 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas gespeichert werden. Das sind 33 Prozent des Verbrauchs – bei weitem nicht genug, wenn es um die Versorgungssicherheit geht.
Europas Gasversorgung bleibt anfällig
Wie anfällig Europas Gasversorgung ist, zeigte sich kürzlich an den Preisschwankungen während des Arbeitskampfes bei LNG-Projekten in Australien. Als die Arbeiter der Chevron-Projekte zu streiken begannen, stiegen die Gaspreise in Europa innerhalb eines einzigen Tages um 13 Prozent. Gestern wiederum stieg der europäische Gaspreis um 14,5 Prozent auf 49,25 Euro je Megawattstunde an, nachdem ein Leck in einer Gaspipeline im Baltikum entdeckt wurde. Die Pipeline zwischen Finnland und Estland ist nach Einschätzung der finnischen Regierung von außen beschädigt worden.
Einsparungen der Industrie befördern Deindustrialisierung
In diesem Jahr scheint sich Europa damit zufrieden zu geben, dass seine Gasspeicher voll sind. Und da die durchschnittliche saisonale Entnahme bei weniger als 600 TWh liegt, ist die Wahrscheinlichkeit eines Engpasses gering. Bedenklich stimmt der geringere Energieverbrauch der Industrie, der sich zwar positiv auf die Gasspeicher auswirkt, aber aus Sicht des Wirtschaftswachstums negativ ist.
In einer Kolumne über den Rückgang des industriellen Gasverbrauchs brachte es John Kemp von der Nachrichtenagentur Reuters jüngst ganz einfach auf den Punkt. Der leitende Marktanalyst, der sich auf Öl- und Energiesysteme spezialisiert hat, verwies auf den erheblichen Verbrauchsrückgang, der die Versorgungssicherheit für die Wintermonate erhöht hat. Die EU habe seiner Einschätzung nach aber einen hohen Preis in Form einer verringerten Produktionstätigkeit gezahlt, was zu einer dauerhaften Deindustrialisierung führen könnte.
Höhere Preise werden heute auch am Heizölmarkt gezahlt. Nachdem die Notierungen für Gasöl, dem Vorprodukt für Diesel und Heizöl, gestern im Verlauf des Handelstages wieder leicht zulegen konnten, müssen. Verbraucherinnen und Verbraucher im Bundesgebiet im Schnitt etwa +1,00 bis +1,65 Euro pro 100 Liter mehr bezahlen als noch zur Wochenschluss.