Erneuerbare Energien hatten schon immer ein größeres Akzeptanzproblem – der Wind weht nicht 24 Stunden am Tag, die Sonne scheint nicht immer, und erneuerbare Energiequellen wie Staudämme, die rund um die Uhr in Betrieb sind, erfordern massive Investitionen, bevor sie in Betrieb gehen können. Eine potenzielle erneuerbare Energiequelle, die rund um die Uhr zur Verfügung steht, ist die Geothermie, besser unter dem Namen Erdwärme bekannt.
Trotz ihrer vielen offensichtlichen Vorteile wird geothermische Energie – die die Wärme in der Erdkruste anzapft – sträflich wenig genutzt. In Europa entfallen von den 209 GW Stromkapazität des Kontinents gerade einmal 1,5 GW auf die Geothermie. Jährlich werden weltweit nur etwa 800 geothermische Bohrungen durchgeführt, verglichen mit mehr als 100.000 Ölbohrungen.
Geothermische Energie hat zwei Hauptanwendungen: Stromerzeugung und Heizung/Kühlung
Erdwärme kann fast überall gefunden werden: Abgesehen von seismisch aktiven Hotspots gibt es eine ständige Versorgung mit milder Wärme – die für direkte Heizzwecke genutzt werden kann – in einer Tiefe von drei bis einigen hundert Metern unter der Oberfläche. Diese Wärme ist praktisch überall auf der Erde zu finden, da sie ihren Ursprung in der Entstehung des Planeten hat, in der Reibungswärme, die durch das Absinken des dichteren Kernmaterials in das Zentrum des Planeten entsteht sowie in der Wärme aus dem Zerfall radioaktiver Elemente.
Nur 10.000 Meter der Erdoberfläche beinhalten 50.000 Mal mehr Energie als in allen Erdöl- und Erdgasvorkommen der Welt vorkommen. Im Gegensatz zu Solar- und Windenergie, die unzuverlässige Energiequellen sind, ist die Geothermie mit einem hohen Kapazitätsfaktor von 74,3 Prozent gegenüber 24,9 Prozent bei der Solarenergie und 35,4 Prozent bei der Windenergie äußerst zuverlässig.
Erdwärme ist vergleichsweise sauber
Ein weiterer entscheidender Vorteil: Geothermie ist viel sauberer als alle fossilen Brennstoffe, die es gibt. Nach Angaben der Energy Information Administration (EIA) emittieren geothermische Kraftwerke etwa 99 Prozent weniger Kohlendioxid und 97 Prozent weniger Schwefelverbindungen, die sauren Regen verursachen, als fossile Kraftwerke ähnlicher Größe. Es ist daher kaum verwunderlich, dass ein Land wie Island – das etwa zwei Drittel seiner Primärenergie aus geothermischen Quellen gewinnt – nur ein Drittel der Treibhausgasemissionen pro Kopf der Bevölkerung der Vereinigten Staaten aufweist.
Jetzt kommen die „Enhanced Geothermal Systems“ (EGS) ins Spiel…
EGS verspricht nicht nur eine Steigerung der Energieleistung von Bohrungen auf kleinerer Fläche, sondern auch eine Vergrößerung der Gebiete, in denen die geothermische Energie genutzt werden kann. Wirtschaftlich sinnvoll ist die Geothermie bisher nur in Ländern wie Island, wo Wärme und Wasser nahe der Erdoberfläche zu finden sind. Ähnlich wie beim Schieferbohren wird bei EGS jedoch ein unterirdisches Risssystem geschaffen, das die Durchlässigkeit des Gesteins erhöht und die Injektion einer Wärmeübertragungsflüssigkeit (in der Regel Wasser) ermöglicht. Die eingespritzte Flüssigkeit wird dann durch das Gestein erhitzt und zur Stromerzeugung an die Oberfläche zurückgeführt. Dieselbe Technologie, die den Schieferboom in den USA angetrieben hat, könnte dazu beitragen, das volle Potenzial der geothermischen Ressourcen in Europa zu erschließen.
Europa arbeitet in der Geothermie eng zusammen
In Europa hat das von der EU finanzierte GEORISK-Projekt daran gearbeitet, die mit neuen Geothermie-Projekten verbundenen Risiken zu erfassen und zu verringern, um private Investitionen in die Branche anzuziehen. GEORISK ist eine groß angelegte Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten Akteuren der Geothermie-Branche in ganz Europa. Das Projekt hat die europäischen Länder bei der Entwicklung von Rahmenwerken zur finanziellen Risikominderung für geothermische Projekte unterstützt, die in der neuen EU-Richtlinie für erneuerbare Energien vorgeschrieben sind.
Transfer von Fachwissen und Personal aus der Öl- und Gasindustrie in die Geothermie
Laut Philippe Dumas, Generalsekretär des European Geothermal Energy Council, ist es angesichts der derzeitigen Energiekrise in Europa nötig, dass die Regierungen in der gesamten EU ihre Abhängigkeit vom Gas verringern und verstärkt erneuerbare Ressourcen wie die Geothermie nutzen werden. „Es gibt eine solche Dynamik, aber wenn wir diese Dynamik verlieren, werden wir nie eine Energiewende erreichen“, betonte Dumas. Insgesamt findet derzeit ein großer, kontinuierlicher Transfer von Fachwissen und Personal aus der Öl- und Gasindustrie in die Geothermie statt, da viele der verwendeten Technologien ähnlich sind.
Bis diese saubere Energiequelle eine breit verfügbare Alternative darstellt, werden Experten zufolge noch einige Jahrzehnte vergehen. Besitzer von Ölheizungen würden aktuell sicher liebend gerne auf Erdwärme setzen. Denn nachdem sich die Preise für Gasöl, dem Vorprodukt für Dieselkraftstoff und Heizöl, gestern abermals verteuert haben, spiegelt sich diese Aufwärtsbewegung auch bei den Heizölpreisen wider. Verbraucherinnen und Verbraucher im Bundesgebiet müssen im Schnitt etwa +1,05 bis +1,85 Euro pro 100 Liter mehr bezahlen als zum Wochenauftakt.